Freya Daniel Von oben bis unten aufgeschlitzt lag sie auf einem Müllhaufen. Ihr Verwesungszustand war schon weit fortgeschritten, sie hatte einen eindeutigen, braunen Farbton angenommen. Ich war so schockiert über diesen grausamen Anblick, dass ich erst einmal für einen Augenblick wegsehen musste, bevor ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich spürte Verachtung in mir aufsteigen, Verachtung dem gegenüber, der sie hier so unwürdig, ja, direkt fortgeworfen hatte. Doch dann wusste ich: Dieser Fall musste zur Anzeige gebracht werden, und dann muss sie einen angemessenen Platz erhalten, denn hier gehörte sie wirklich nicht hin. Ich rannte so schnell ich konnte zur nächsten Polizeistation und musste dort erst einen Moment verschnaufen, bevor ich den Wachhabenden die Sachlage schildern konnte. Doch dann musste ich am eigenen Leibe erfahren, wie korrupt und ignorant unser ganzes System war. Die Polizisten zeigten sich unverständig, ein paar lachten mich sogar aus! Allmählich kam mir der Verdacht, sie könnten an der Tat beteiligt gewesen sein, und zutiefst niedergeschlagen und voller Unverständnis gegenüber der „modernen Ordnung“ ging ich zurück zum Tatort und trauerte, da ich offensichtlich die einzige war, die noch wahrnahm, was um uns alle herum geschah. Eines stand fest: Ich konnte sie nicht einfach hier liegenlassen. Ich überlegte nicht lange, meine Nächstenliebe befahl mir, sie mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass sie dorthin kam, wo sie hingehörte. Behutsam hob ich sie hoch. Die Leute auf der Straße sahen mich fast alle entweder verwirrt, schockiert, angeekelt oder mitleidig an, doch ich würdigte sie keines Blickes, meine gesamte Aufmerksamkeit lag auf ihr, der ich ein anständiges Begräbnis verschaffen wollte. So schaffte ich den Weg nach Hause, ohne mich um die Blicke zu scheren, indem ich mich auf das Gefühl ihrer zwischen meinen Fingern konzentrierte und auf meine menschenfreundliche Tat. Zu Hause angekommen, begrub ich sie unter meinen Küchenabfällen. Manche werden mich jetzt als übertrieben und sentimental empfinden, aber irgendwie ging mir die Geschichte so zu Herzen, und ich konnte die Bananenschale doch auch nicht einfach auf dem Restmüll liegenlassen! Die Veröffentlichung des Textes auf dieser Internetpräsenz geschieht mit freundlicher Genehmigung der Autorin. © Freya Daniel (2008) |
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